Auf der DGfE-Tagung in Berlin hat Prof. Dr. Ulf-Daniel Ehlers eine Rede zum Thema Universität 4.0 gehalten. Die Rede stieß auf breites Interesse und fand entsprechend hohe Resonanz. Daher stellen wir Ihen das Redemanuskript nachfolgend zur Verfügung:

 

Das Thema der digitalen Hochschulbildung ist ein Thema, was immer wieder zu Konferenzen inspiriert, meistens nicht so sehr, um nachzudenken, was sich ändern wird, sondern vor allem, was sich ändern sollte. Eines wird dabei durchweg deutlich, so kontrovers die Diskussionen auch sein mögen: Die Universität – und auch die Universitas – ist nicht am Ende. Wir müssen keinen Abschied feiern.

Sie ist in der Kritik und das Phänomen der Digitalisierung spielt dabei wechselnde Rollen zwischen Treiber und Begleiter. Als die wichtigste
gesellschaftliche Institution Europas kann sie sich aber behaupten (Rüegg, 1993).

Das Ideal der Universität kann mit dem lat. Begriff Universitas (eigentlich: universitas magistrorum et scholarium) beschrieben werden: Als
Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, die gemeinsamen Grundzielen verschrieben ist, die Neues und auch altes Wissen nicht von oben nach unten weiterreicht, sondern Erkenntnisse immer wieder neu diskutiert und bestätigt – oder verwirft –, dies alles ungeachtet der Reaktion von außen. Ein Ideal, das niemals vollständig erreicht wurde und häufig genug auch scheiterte. Dieses Ideal ist durch Bewegungen wie der Industrialisierung, der Massifizierung von Hochschulbildung und ihrer Folgen, sich von akademischen Institutionen im Sinne der Universitas hin zu Masseneinrichtungen der Ausbildung zu wandeln, unter Druck geraten. Mehr und mehr steht eine Abkehr von einem Ideal der ‚Bildung als Selbstbildung’ hin zu einer Vorstellung von ‚Bildung als Ergebnis des Lehrens’, orientiert an den Qualifikationszielen eines Studienplans im Vordergrund.

Wenn Hochschulbildung aber im Wesentlichen Selbstbildung ist, also vom Subjekt aus gedacht wird, gibt es keine ‚ideale’ Bildung im Sinne einer fest bestimmbaren, standardisierten besten Bildung, die für alle gleich gilt. Bildung in diesem Verständnis ist weitaus komplexer, individueller und ganzheitlicher und nicht zu verwechseln mit dem Anforderungsprofil einer neu zu besetzen Arbeitsstelle.

Interessant ist es, sich die derzeit führenden Treiber der Entwicklung und den Wandlungsdruck, dem die Universitäten ausgesetzt sind, vor Augen zu führen: zum einen der enorm gestiegene Stellenwert von höherer Bildung in einer Bildungsgesellschaft, und zum anderen die Digitalisierung. Beides sind die Determinanten an denen sich die Zukunft der Hochschule ausrichtet.

Aber die Hochschule steht in der Kritik, das ist unüberhörbar, bspw. im Rahmen des Bolognaprozess: So sei bereits eine starke „Verschulung“ der neuen Studiengänge zu erkennen. Andere Kritiker sehen in den Reformen das endgültige Ende der humboldtschen Universität, der damit verbundenen Idee von Bildung und damit das „Ende einer Lebensform“ (Seibt, 2007). Auch die zunehmende ‚Separierung von Forschung und Lehre’ und die Ersetzung von intrinsischer ‚Innensteuerung’ (Interesse an Inhalten) durch extrinsische ‚Außensteuerung’ (scheinorientiertes – d.h. an Leistungsnachweisen – Studium unter Zeitdruck) wird angeführt.

Man könnte an dieser Stelle auch noch bildungspolitische Paradoxien anführen, wie bspw. die, dass aus der Erkenntnis, dass Bildung immer
wichtiger wird, der Schluss gezogen wird, dass ein verkürztes zwölfjähriges Abitur in Zukunft ausreichen müsse und auch die Studienzeiten verkürzt werden müssten. Oder dass man sich größere wissenschaftliche Kompetenz der Hochschulen durch verstärkte Ausrichtung der Hochschulen auf Drittmittelbudgets verspricht. Die Hochschule scheint derzeit oftmals allein – gewissermaßen umringt von Reformern.

Doch lehrt uns die Geschichte, dass Entwicklung nicht zurück zu dem alten Zustand führen (sollte), sondern, dass ein neuer Zustand, der in einer Verbindung der Tradition und des Eingeübten, mit der neuen Möglichkeit liegt, anzustreben ist. Wie kann das für die heutige und die zukünftige Hochschule aussehen?

Meine These ist, dass die erhöhte Bildungsbeteiligung und die Digitalisierung zu tiefgreifenden Änderungen der Konzeption der modernen Hochschule führen werden. Diese beiden Themenstellungen möchte ich im Folgenden diskutieren, vor allem in ihren Auswirkungen auf die akademische Bildung.

 

Wie kann man sich der Zukunft der Hochschule nähern?

Niklas Luhmann (Luhmann, 1976) beschreibt, dass in allen sozialen Systeme Erwartungen gebildet werden, die maßgeblich sind dafür, wie sich das System – auch die Hochschule – in seinen Operationen auf die Zukunft ausrichtet. Daher ist es wichtig, für die Zukunft der Hochschule auch die Situation innerhalb der Hochschule und die Erwartungen ihrer Akteure mit einzubeziehen. Luhmann (ebenda) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Aspekte, nämlich gegenwärtige Zukünfte – also Projektionen, etwa in Gestalt von Utopien – und zukünftige Gegenwarten in Gestalt von technologischen Orientierungen, kausalen oder stochastischen Verbindungen zukünftiger Ereignisse.

Wenden wir uns einmal einer solchen zukünftigen Gegenwart zu. Die Hochschule der Zukunft wird sich in Organisationsstruktur und Arbeitsweise ändern müssen, will sie den geänderten Rahmenbedingungen einer Gesellschaft Rechnung tragen, in der akademischen Bildung die normalbiografische Erfahrung der Mehrheit einer Alterskohorte ist.

Der Trend hin zur Bildungsgesellschaft wird durch einen zweiten gesamtgesellschaftlichen Megatrend verstärkt, den der Digitalisierung. In beiden Entwicklungen sind eine Reihe von Ursache-Wirkungsbündeln enthalten, die in ihren Auswirkungen starken Einfluss auf die Entwicklung der Hochschule der Zukunft nehmen.

 

 

Abbildung 1: Einflussfaktoren auf die Hochschule

 

Zur Bildungsgesellschaft…

Universitäre Bildung war immer begehrt, aber nie so offen zugänglich wie derzeit. War die erste Hochschulausbildung im Bologna des 11. Jahrhunderts noch sehr auf die gesellschaftlichen Eliten ausgerichtet und hoch selektiv im Zugang für nur sehr privilegierte Zielgruppen, so ist durch die Bedarfe der industrialisierten Gesellschaft ausgelöst, ein wahrer Feldzug der Massenhochschulen eingetreten. Hochschulbildung zu erlangen wird heute zur Normalbiografie und Standarderfahrung (OECD, 2016). Auch in Deutschland studierende mittlerweile mehr als 50% einer Alterskohorte. Die Quote der Studienberechtigten stieg 2012 bundesweit auf 53,5 Prozent (zu Akademisierungstrends siehe auch Alesi & Teichler, 2013), die der Studienanfänger/innen auf 54,6%, und der Studienabsolventen auf 30%
(Dräger & Ziegele, 2014).

Die durchaus bedenkenswerten kritischen Interventionen zum „Akademisierungswahn“ sind zwar wichtige Reflexionsmomente, die jedoch
am Faktum der stetig zunehmenden Bildungspartizipation nichts ändern (werden). Mit einer Hochschulpartizipationsrate deutlich oberhalb der 50%-Marke wird man somit überall rechnen müssen (vgl. Teichler 2014; Baethge u.a. 2014).

Die Bedeutung von Bildungsbeteiligung als Ermöglicher am kulturellen, sozialen und ökonomischen Kapital (Bourdieu, 1982) teilhaben zu können, steigt damit stetig weiter an. Der in der Pädagogik und Soziologie zunehmend stärker diskutierter Begriff der Bildungsgesellschaft (Mayer, 2000) ist hierfür kennzeichnend. Damit ist höhere Bildung paradoxerweise nicht nur eine wichtige Option, sondern stellt auch zunehmend ein Risiko dar, sollte eine entsprechende Bildungsbeteiligung nicht stattfinden (können) (Beck, 1986). Option und Zwang liegen hier eng beieinander.

 

Zur Digitalisierung …

Ein zweiter wichtiger Änderungswind weht seit einiger Zeit aus Richtung der Digitalisierung auf die Hochschulen zu. Es ist kein von der oben
beschriebenen Entwicklung zur Bildungsgesellschaft getrennt stehender Faktor, sondern beflügelt diesen eher noch. Die Digitalisierung führt zu Entgrenzungsprozessen akademischer Bildung und ihrer Organisation, die auf alle Bereiche der Hochschule einen Einfluss hat:

  • Das für ein akademisches Studium notwendige Wissen wird zunehmend frei digital verfügbar und von einer spezifischen akademischen Institution und ihren Akteuren abgekoppelt bereitgestellt. Die Koppelung von Wissenszugang und Institutionszugehörigkeit löst sich mehr und mehr auf. So ist bspw. ein ‚Patchworkstudium’ mit unterschiedlichen akademischen Lehrveranstaltungen an unterschiedlichen Institutionen prinzipiell denkbar und wird auch zunehmend realisiert.
  • Wissensvermittlungsprozesse verlieren ihre Raum- und Zeitgebundenheit und Studium kann neu und unabhängig von Seminarräumen und Präsenzveranstaltungen organisiert werden.
  • Die Generierung neuen Wissens über Forschungsprozesse ist heute ohne digitale Medien und durch sie unterstützte Prozesse nicht mehr denkbar. Auch für die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, sowohl bei der Lehre als auch bei der Organisation des Studiums, werden zunehmend digitale Medien genutzt.
  • Forschende, Lehrende und Studierende treten über digitale Medien zunehmend auch in einen globalen Austausch und Studium, Lehre und Forschung internationalisiert sich.

Die genannten Punkte stellen nur eine kleine Auswahl von Aspekten dar, die durch Digitalisierung in der Hochschule der Zukunft beeinflusst werden. Die Tatsache, dass mehr und mehr Universitäten Konzeptionen zur Digitalisierung in ihre Strategiebildungsprozesse aufnehmen, trägt dieser Entwicklung Rechnung.

Die steigende Individualisierung von akademischen Bildungsprozessen und die Vielfalt von Ansprüchen, Zielen und Methoden des Studierens wird durch die Unterstützung des Studiums mit digitalen Medien im oben beschriebenen Sinne erst möglich. Die Digitalisierung wirkt wie ein Ermöglicher der Anforderungen, die die gesteigerte Bildungsbeteiligung mit sich bringt. Die Digitalisierung der Hochschulbildung als Technisierung zu verstehen, wäre aber verkürzt und falsch. In ihrem Kern stehen Aspekte wie der freie Zugang zu Wissen, zu Wissensressourcen, entgrenzten Kommunikationsmöglichkeiten und Vernetzung. Es stellt sich die Frage, wie Bildungsprozesse aussehen müssen, wenn sie eben nicht mehr auf dem schon eingeübten Hierarchiegefälle der Lehrenden als der Wissensträger einerseits und der Studierenden als der Wissensempfänger andererseits beruhen. Digitale Hochschulbildung in diesem Sinne könnte das alte Ideal der
Gemeinschaft der Studierenden und Lehrenden mit dem Ziel, innovative Ansätze durch Diskurs hervorzubringen, in ganz anderer und neuer weise aufscheinen lassen – im gemeinsamen Diskurs Problemszenarien zu entwickeln und zu bearbeiten.

 

Aber wie wirken sich beide Punkte – Bildungsbeteiligung und Digitalisierung – konkret auf Hochschulen aus?

Beides, sowohl die gestiegene Beteiligung an akademischer Bildung, als auch die zunehmende Digitalisierung der Hochschulbildung wirken wechselseitig verstärkend auf die Organisation und Ausgestaltung von Studium, Lehre und Forschung – und lösen einen immer stärker spürbaren Gestaltungsdruck in Richtung Individualisierung und lebenslanger akademischer Bildungsnotwendigkeit aus.

Dieser drückt sich vor allem in drei Punkte aus:

  1. Zunahme von Vielfalt
  2. Selbstorganisation und Autonomie und
  3. Entkoppelung

 

Zunahme von Vielfalt

Diversität ist das große Stichwort der Hochschulbildung in jüngster Zeit. Sie wächst auf dem Zusammenhang, dass akademische Bildung einen immer größer werdenden Stellenwert für die soziale Teilhabe an der Gesellschaft besitzt, dass Bildungsprozesse zunehmend individueller (also auf den jeweiligen Bedarf der/ der einzelnen Person und Biografie zugeschnitten), und dadurch auch diversifizierter und an die jeweiligen Lebenslagen in Form und Inhalt angepasster werden (also weniger an Standartangeboten orientiert sind). Diese neue Vielfalt ist eine Heterogenität, die die große Herausforderung der Universitäten in den nächsten Jahren darstellt. Die ‚klassische Klientel‘ wissenschaftsaffiner und akademisch orientierter Studierender wird zu einer Minderheit an den Hochschulen werden.

Der Bologna-Prozess gibt eine immer stärker berufsorientierte Hochschulausbildung vor, die für immer mehr Studierende der Beweggrund für ein Studium ist. Hochschulen werden sich auf die Vielfalt einstellen müssen, weil sie andernfalls weder den sich verändernden gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden, noch ihre Studierenden verstehen können. Dabei geht es nicht nur darum, möglichst alle Studierenden wie bisher durch die erprobten Studienkonzeptionen zu schleusen, sondern die Frage zu stellen, welche neuen Fähigkeiten und Kompetenzen die Studierenden mit ins Studium bringen und wie deren Interessen zu einer Bereicherung der Lehre beitragen könnten. Anders als mit digitalen Medien wird die die Individualisierung von Lernmöglichkeiten nicht zu organisieren sein.

 

Selbstorganisation und Autonomie

Im Umgang mit mehr Vielfalt wird es für Hochschulen wichtig, Studierende bei deren Selbststeuerungsfähigkeiten zu unterstützen, um die potenziell sehr unterschiedlichen Zielstellungen einer Studienkohorte miteinander in Einklang zu bringen. Während es in einem Fall noch darum geht, ein grundständiges Studium zu absolvieren, ist es in anderen Fällen ein berufsbegleitendes oder ein praxisintegriertes Studienmodell, hier besteht vielleicht das Interesse an einem Kontaktstudium und dort an einer vertieften fundierten Studieneinheit in einem Spezialfach. Diese unterschiedlichen Bedarfe und Interessen müssen zukünftig durch intelligente und modularisierte Studienmodelle
miteinander kombinierbar werden. Studierende nehmen für sich ein stärkeres Wahlverhalten in Anspruch und nutzen die Möglichkeit zum Studium aus vielfältigsten Lebenslagen und Positionen im Lebenslauf.

Um solchen Bildungsverläufen gerecht zu werden, muss die Konzeption eines akademischen Studiums neu gedacht werden: Kleinere akademische Qualifikationseinheiten zu konzipieren, diese in intelligenten Weisen miteinander koppeln zu können und dabei gleichzeitig nicht die großen Qualifikationslinien aus den Augen zu verlieren. Zertifizierung, Prüfung, Examen nur noch für ein gesamtes Studium abzunehmen, das Studium aus ‚einer Hand’, einer Institution, an einer Hochschule von A bis Z, wird zukünftig der Vergangenheit angehören oder zumindest neben das heute bekannte Normalmodell treten. Die hierbeteiligten Hochschulen werden in digitale Allianzen zusammenarbeiten. Neue Instrumente für die Anerkennung von bereits erworbenen Kompetenzen werden entstehen.

 

Entkoppelung

Eine dritte Entwicklung ist ein sich abzeichnender dreifacher Entkoppelungsprozess. Zum einen ist zu erkennen, dass sich die Vorstellung, dass die für einen Beruf notwendigen Qualifikationen und Kompetenzen in klare und überdauernd gültige Curricula verpackt werden könnten, als zunehmend absurd erweist (Ausdruck davon ist die enorm angestiegene Zahl der Studienrichtungen und Vertiefungen oben auf den grundständigen Studiengängen). Vielmehr ist eine Entwicklung zu erkennen, in dem das System der Arbeit sich nicht mehr an Berufsdefinitionen orientiert, die starre Tätigkeitsbündel umfassen, sondern zu einem flexiblen System der Arbeit wird, was sich stetig weiterentwickelt. Lisop und Beck sprechen hierbei von einem Abschied vom „Berufe-Konstrukt als qualifikatorischer und pädagogischer Fundierung“ (Lisop, 1997; Beck, 1986). Die Hochschule der Zukunft kann akademische Qualifikationen zukünftig nicht mehr als starres
‚Paket’ eng umgrenzter beruflicher Qualifikationen konzipieren. Vielmehr bedingt eine hoch entwickelte Struktur von Forschung, Produktion, Entwicklung und Dienstleistungen einen raschen Wechsel der Qualifikationen. In der Konsequenz sind Universitäten aufgefordert, sich mehr an übergreifenden Kompetenzen und weniger an passgenauen Qualifikationen zu orientieren.

Es werden die sozialen und emotionalen Fähigkeiten sein, die künftig von großer Bedeutung sind. Perspective taking. Kann ich verschiedene
Sichtweisen einnehmen? Das ist es, was Computer nicht können. Und dann die Einstellung der Menschen, und die Wertesysteme, die dahinter stehen. (Selbstfahrende Autos – ethisch)

Woher weis ich, was falsch und richtig ist, was wahr ist und was nicht?

Akademische Bildung muss sich im Grunde nicht mehr auf die Vermittlung konzentrieren sondern muss jungen Menschen einen Kompass an die Hand geben, sich in einer zunehmend komplexen Welt weiterzuentwickeln. Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen der OECD berichtete vor zwei Tagen im Allianzforum hier in Berlin von einer Studie in 60 Ländern, mit dem Ziel herauszufinden, was die wichtigsten Schlüsselkompetenzen für zukünftige Absolventen sein werden:

  1. Neues zu schaffen und kreativ zu denken.
  2. Mit Spannungsverhältnissen umzugehen, in unsicheren Situationen handlungsfähig zu sein und abzuwägen.
  3. Verantwortung übernehmen, selber Dinge zu entscheiden.

Eine zweite Entkopplung ist die von Studium und Abschluss. Akademisches Studium wird zukünftig nicht ausschließlich mit dem Ziel eines Abschlusses durchgeführt werden. Vielmehr wird der Bedarf an akademischer Weiterbildung steigen, an phasenweise verfügbarer akademischer Vertiefung von beruflich relevanten Themen. Auch werden die Motive akademische Bildung als ‚Genuss im Lebensvollzug’ in Anspruch zu nehmen wichtiger werden. In einem zunehmend digitalisierten Markt für akademische Bildungsangebote werden akademische Qualifikationen zukünftig auch nicht mehr nur noch aus einer Hand, von einer Institution und vollumfänglich betreut werden (können). Vielmehr werden Studierende auf Grundlage ihrer eigenen Präferenzen zunehmend ihre eigene Zusammenstellung von Angeboten und
Institutionen vornehmen. Damit entkoppelt sich das akademische Studium auch von einer ‚Ein-Campusmentalität’, hin zu einer potenziell entkoppelten ‚Viel-Campusmentalität’, in der Studium und Institution voneinander getrennt zu sehen sind.

Ein dritter Entkoppelungsvorgang ist die Entkopplung der Zeitspanne, in der ein Studium stattfindet: Akademische Qualifizierung wird zukünftig nicht mehr als ‚Qualifikation auf Vorrat’ direkt nach einem Abschluss einer weiterführenden Schule in Anspruch genommen werden, sondern in episodischen Verläufen, prinzipiell unbegrenzt über die gesamte Lebensspanne hinweg.

Damit einher geht auch die Entwicklung der Employability, die nicht mehr als Berufsfähigkeit, also Vorbereitung auf einen Beruf durch ein universitäres Studium, sondern als Beschäftigungsfähigkeit auf die Lebensspanne abzielt: Gewissermaßen vom ‚lifetime employment’ zur ‚lifetime employability’. Für die Qualifizierung bedeutet das: sie ist nie wirklich abgeschlossen. Auch hier besteht ein Druck auf Hochschulen, Bildungsprozesse verstärkt als episodisch und nicht als einmal und für immer abgeschlossen zu betrachten.

 

Schritte in Richtung der Hochschule der Zukunft

Universitäten gehen bereits Schritte in Richtung Zukunft. Digitale Medien bieten Hochschulen neue Möglichkeiten die Studienstruktur oder die Studienorganisation weiter zu entwickeln. Die Ergebnisse der jüngste Debatte über „Hochschulbildung digital“ zeigt, dass Digitalisierung nicht als Technisierung sondern als Ermöglicher für didaktische Phantasie in der Lehre steht (Digitalisierung, 2016). Zu erkennen ist, dass es Universitäten darum geht, junge Menschen in der Entwicklung ihrer Fähigkeit zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Arbeit in heterogenen Teams zu unterstützen und sie bei der Entwicklung von Handlungskompetenzen durch die Lösung komplexer Probleme zu fördern. Hochschulen und ihre Akteure in der Lehre setzen digitalen Medien in großer Vielfalt ein und nutzen die sich dadurch ändernden Rahmenbedingungen, um produktiv neue Wege zu gehen. Dabei wird Hochschullehre jenseits von reinem monodirektionalem Wissenstransferkonzepten und Massenveranstaltungen attraktiv gestaltet. Dann wird Hochschullehre zum Reallabor, in dem Konzeptionen entwickelt und umgesetzt werden, in denen Studierende als reflektierende Praktiker/innen in ‚Reflexionslaboratorien’ (Ehlers, 2014) lernen, in denen sie kollaborativ zusammenarbeiten und in denen sie in ihrer Entwicklung zu autonomen und selbstgesteuerten Lernenden unterstützt werden. Digitalisierung verfolgt dabei nicht das Ziel der ‚Technisierung’, sondern fordert auf, zur didaktischen, curricularen und organisatorischen Innovation in der Lehre.

 

Es geht nicht um Digital oder Analog

Wir, die Hochschulmitglieder müssen aufstehen und den Wandel gestalten, der durch die veränderten Rahmenbedingungen auf Hochschulen zukommt. Gute Beispiele gibt es genug. Bedenkliche Beispiele auch. Es lohnt sich, zu kämpfen!

 

 

Zur Person:

Prof. Dr. phil. habil. Ulf-Daniel Ehlers ist Professor für Bildungsmanagement und lebenslanges Lernen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Zuvor war er von 2011 bis 2017 und Vizepräsident und im Vorstand zuständig für Qualität und Lehre. Im HND BW ist er als Delgierter der DHBW Mitglied im Hochschulartenübergreifenden Arbeitskreis und einer der Sprecher der Themengruppe Strategie & Organisationsentwicklung tätig. Auf internationaler Ebene ist er als Vizepräsident der European Association for Institutions of Higher Education aktiv.

 

 

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